Inhalt | Der Mensch ist ein manipulatives Wesen: Angetrieben wird er dabei vom Wunsch nach Selbsterhaltung, Lustgewinn und Macht. Manipulation ist ein sprachliches und narratives Phänomen. In der Antike entsteht die Rhetorik als verbale Überzeugungskunst: Sie wird angewandt im Privaten, als werbende Liebesrede, und öffentlich, vor Gericht, im Wahlkampf, vor Kriegsbeginn. Bereits hier weiss der Rhetor, dass eine überzeugende Rede Narrative enthält, die mythische Motive wie etwa den Entscheidungskampf zwischen Gut und Böse aufnehmen. Die Reichweite der Manipulation dehnt sich seit der Frühen Neuzeit von Individuen und überschaubaren Gruppen auf ein Massenpublikum aus. Dabei ist die Distribution und Wirkung von Manipulation wesentlich abhängig von medientechnologischen Entwicklungen. Schon die Printmedien sind häufig werbefinanziert und wollen möglichst viele Leser erreichen, was zu Simplifizierungen und schiefer Gewichtung bei der Auswahl des Berichteten führt und die Meinungsbildung beeinflusst. Mit den digitalen Medien und personalisierten online-Inhalten kommt es zu „individuellen Filterkammern“ mit „verstärkenden Echokammern“ (Götz/Hespers). Fake News und Verschwörungstheorien verbreiten sich hier besonders gut. Dabei verliert das transportierte Narrativ an Bedeutung, kann sogar für Aussenstehende völlig absurd erscheinen, wie der Fall QAnon zeigt. Wichtig wird zunehmend, wie das Narrativ eingerahmt, inszeniert und medientechnisch verbreitet wird. Die Reflexion über diese Zusammenhänge ist für Wissenschaftler aller Disziplinen von grosser Bedeutung: Einschneidende Veränderungen durch die Digitalisierung, durch Entwicklungen im Bereich von Mobilfunktechnik, künstlicher Intelligenz und Biotechnologie sowie die Verbreitung neuer Krankheiten durch technisch beschleunigte Mobilität verunsichern viele Menschen. Dass diese Entwicklungen unaufhaltbar sind, ruft Angst hervor. Der Vertrauensverlust gegenüber demokratisch gewählten politischen Vertretern gibt populistischen Strömungen Aufwind und die Empfänglichkeit für komplexitätsreduzierende Angebote nimmt zu. Den etablierten Medien wird zunehmend misstraut, sie werden als Sprachrohr der verhassten Elite angesehen, wie der Begriff „Lügenpresse“ zeigt. Die Bereitschaft steigt, Fake News Glauben zu schenken. Verschwörungstheorien bieten Orientierung, entfernen ihre Anhänger aber zunehmend von der Realität. Mit dem Begriff „postfaktische“ Epoche sei wohl die Verweigerung gegenüber Fakten und die Tendenz gemeint, „allein den Gefühlen“ zu folgen, so die Naturwissenschaftlerin Angela Merkel 2016. Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit werden zunehmend abgelehnt, dagegen findet das Aussprechen der ,gefühlten Wahrheit’ Anklang. Dies kann letztlich zum Legitimitätsverlust der Wissenschaft wie auch der demokratischen Strukturen führen. Als Wissenschaftler und Staatsbürger muss man sich Gedanken darüber machen, wie der Infragestellung der Legitimität dieser beiden Bereiche entgegenzuwirken ist. |