851-0082-00L  Literatur und das Wissen vom Sozialen

SemesterHerbstsemester 2021
DozierendeA. Alon
Periodizitäteinmalige Veranstaltung
LehrspracheDeutsch


KurzbeschreibungDie Lehrveranstaltung zeigt, inwiefern sich vom 19.-21. Jh. die oft empirischen Wissenschaften des Sozialen und die Konstituierung von Literatur einander bedingen. Grundlage sind sozialwissenschaftliche Texte und literarische Gattungen, die zur Modellierung des Wissens herangezogen werden, v.a. Kriminal- und Spionageromane, sowie Reiseberichte, Grossstadtromane und sozialwissenschaftliche Surveys.
LernzielÜberblick über 200 Jahre Sozialwissenschaft in ihrer Verbindung zur Literatur, vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart
Überblick über populäre literarische Gattungen die für sozialwissenschaftliche Theoriebildung relevant sind
Historisierung der Frage nach dem epistemischen Status von Literatur, der Ästhetisierung von Wissen
Frage der Relevanz der Literatur für Geistes- und Naturwissenschaften
Reflexion von Wissenproduktion und -methoden
InhaltZu Beginn des 19. Jahrhundert etablieren sich die Sozialwissenschaften und orientieren sich an den Naturwissenschaften und der Mathematik, deren Wissensmodellen und Forschungsverfahren, um ein empirisch abgesichertes Wissen vom Sozialen zu produzieren. Davon zeugen Bezeichnungen wie die 'sozialen Physik' (Auguste Comte) oder die 'Massenpsychologie'. Auffälligerweise wird im Zuge dieser "Verwissenschaftlichung des Sozialen" (Lutz Raphael) aber oft auf die Literatur rekurriert, die als ein wesentliches Instrument der sozialwissenschaftlichen Praxis erkannt wird. So dient die Literatur in der Auseinandersetzung um die sogenannte soziale Frage zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Verwissenschaftlichung des Armutsdiskurses, indem sie statistisch nicht darstellbare Individualschicksale zum Gegenstand der Theoriebildung macht. Karl Marx etwa rekurriert in seiner Interpretation des Sozialen auf Eugène Sues 'Die Geheimnisse von Paris'.
Die Relevanz der Literatur für die Produktion des Wissens vom Sozialen hat jüngst auch der Soziologe Luc Boltanski in seiner Monographie "Rätsel und Komplotte. Kriminalliteratur, Paranoia, moderne Gesellschaft" (2012) nachgewiesen und gezeigt, wie die Weise, in der Kriminal- und Spionageromanen die Realität problematisieren, die historische Entwicklung der Geistes- und Sozialwissenschaften im Einzelnen geprägt hat.
Die Lehrveranstaltung geht davon aus, dass diese Verbindung von Literatur und Sozialwissenschaft immer schon Aussagen über die Prämissen der Differenzierung von Literatur und Wissenschaft, von Geistes- und Naturwissenschaften und ihre unterschiedlichen Praktiken und Erkenntnisinteressen trifft (Stichwort: "Science in Perspective"). Die Integration von Literatur in die Produktion von Wissen vom Sozialen ist für die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit eines naturwissenschaftlich abgesicherten Wissens des Sozialen aus mehreren Gründen relevant: Sie erlaubt, erstens, die Frage, inwieweit die geisteswissenschaftliche Grundierung und Perspektivierung der vermeintlich naturwissenschaftlich-mathematisch orientierten Sozialwissenschaften sowohl Methodik als auch Erkenntnisinteresse und Theoriebildung des Wissens vom Sozialen geprägt hat. Diese Frage bleibt bis in Projekte wie das u.a. an der ETH domizilierte SHAPE-ID wiedererkennbar, das sich der Integration der Künste sowie der Geschichts- und Sozialwissenschaften bei trans- und interdiszipliniärer Forschung zur Lösung gesellschaftlicher Probleme ("societal challenges") verschreibt. Sie ist, zweitens, ästhetisch produktiv geworden und hat zur Genese von neuen poetischen Mitteln geführt, die zum einen die Spezifik sozialwissenschaftlicher Wissensproduktion mit literarischen Mitteln reflektieren, zum anderen aber beanspruchen, auswertbare Daten zum Sozialen zu produzieren. Beispiele hierfür sind vornehmlich Kriminal- und Spionageromane, aber auch Reiseberichte und Grossstadtromane oder Gattungen wie der sozialwissenschaftliche Survey, die Methoden der Stichprobe, Beobachtung, Dokumentation und des Experiments mit den Naturwissenschaften teilen.
KompetenzenKompetenzen
Fachspezifische KompetenzenKonzepte und Theoriengefördert
Verfahren und Technologiengefördert
Methodenspezifische KompetenzenAnalytische Kompetenzengefördert
Medien und digitale Technologiengefördert
Soziale KompetenzenKommunikationgefördert
Sensibilität für Vielfalt gefördert
Verhandlunggefördert
Persönliche KompetenzenAnpassung und Flexibilitätgefördert
Kreatives Denkengefördert
Kritisches Denkengefördert