851-0298-00L  Literatur und Kunst der europäischen Avantgarden der Moderne

SemesterHerbstsemester 2020
DozierendeS. S. Leuenberger
Periodizitäteinmalige Veranstaltung
LehrspracheDeutsch


KurzbeschreibungDie Avantgarden der Moderne kennzeichnet eine radikale Rhetorik von Apokalypse und Neugeburt, die Idee der Heraufführung einer anderen Welt, eines neuen Menschen. Dass sie die „Eigenlogik der ästhetischen Form ins Soziale“ ausweiten (H. Ehrlicher), eint sie ebenso wie die intensive Auseinandersetzung mit den jüngsten technischen Errungenschaften, mit neuen Medienformen und mit deren Kombination.
LernzielDer Anspruch auf Progressivität auf sozialem, politischem oder künstlerischem Gebiet und eine radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen kennzeichnen avantgardistische Bewegungen – von Expressionismus über Futurismus und Dada bis zum Surrealismus. Daher ist es gerade die spezifische Ausprägung der historischen Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts, die in der Vorlesung thematisiert werden soll: Sie ist nicht zu trennen von der Erfahrung der Moderne, von der Technisierung aller Lebensbereiche des Menschen und seiner Anonymisierung in den Metropolen, vom katastrophalen Verlauf des Ersten Weltkriegs und vom Entwurf neuer Gesellschaftsmodelle, deren politische Verwirklichung nach Kriegsende angestrebt wird.

Die Vorlesung ist Teil des Programms Science in Perspective. Sie soll die Fähigkeit zur literatur- und kulturgeschichtlichen Kontextualisierung von avantgardistischen Texten und Kunstwerken vermitteln und das Kennenlernen theoretischer Positionen ermöglichen, etwa durch die Prüfung der These Peter Bürgers, dass mit den historischen Avantgardebewegungen "das gesellschaftliche Teilsystem Kunst in das Stadium der Selbstkritik" eingetreten sei.

Die Beschäftigung mit der historischen Avantgarde ist eine entscheidende Voraussetzung für die wissenschaftliche Beantwortung der Frage nach den Möglichkeiten der gesellschaftlichen Wirkung von Kunst heute. Der Zugang zum Thema erfolgt in der Vorlesung daher einerseits in historischer Perspektive: Gelesen werden literarische Texte und Manifeste u.a. von Marinetti, Ball, Tzara, Huelsenbeck, Hausmann, Heym, van Hoddis, Werfel, Toller, Lasker-Schüler, Benn, Goll, Nebel, Arp, Apollinaire, Breton, Aragon und Ernst. Anderseits wird den kulturpolitischen und literaturtheoretischen Debatten nachgegangen, die die Avantgarde ausgelöst hat (Texte u.a. von Lukács, Benjamin, Bloch, Brecht und Adorno).
Die Vorlesung beleuchtet die Avantgarden der Moderne unter drei Gesichtspunkten: Untersucht werden erstens das ambivalente Verhältnis zu den Neuerungen der Technik, zweitens die ästhetischen Programme, die sich mit bestimmten Entwicklungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts auseinandersetzen, sowie drittens der politische Aktivismus und der Entwurf neuer Gesellschaftsmodelle durch die Avantgarden im Vorfeld und nach dem katastrophal verlaufenden Ersten Weltkrieg – ein Aktivismus, der sich zuletzt mit dem Vorwurf der politischen Wirkungslosigkeit und der mangelnden Widerstandskraft gegen totalitäre Ideologien konfrontiert sieht.