Inhalt | Der Wunsch nach Erschaffung künstlichen Lebens und künstlicher Intelligenz beschäftigt die Menschen seit der Antike. Sie verbinden damit kühne Träume, grosse Hoffnungen und schreckliche Befürchtungen. Verhandelt wird das Thema in Naturphilosophie und Alchemie, in naturwissenschaftlichen, religiösen und philosophischen Diskussionen in der Aufklärung und der Romantik und im Rahmen der Auseinandersetzung mit den technischen Errungenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts. Am häufigsten wird der menschliche Schöpfertraum in Erzählungen reflektiert: in mythischen und literarischen Texten, im Theater, in der bildenden Kunst und im Film. Hier erscheinen Automaten, Homunculi, männliche und weibliche Golem-Figuren, Roboter, Androiden und mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete Elektronenrechner als Figuren einer fiktionalen Welt, oft längst bevor sie in der realen Welt entstehen. Es stellt sich daher die Frage: Welches Themenspektrum wird in den literarischen Texten verhandelt und wie geschieht das? Welche narrativen Muster lassen sich dabei erkennen? Und sind auch die philosophische Essayistik und die medialen Debatten unserer Gegenwart durch diese Narrative geprägt? Ausgangspunkt der Überlegungen zur Erschaffung künstlicher Wesen ist die Tatsache, dass der Mensch sich als defizitär empfindet: Sein Wissen ist begrenzt, und daher sucht er durch Experimente nach Erkenntnisgewinn und Selbstbestätigung. Aufgrund seiner schwachen Konstitution ist er auf Schutz und Unterstützung durch kräftigere Helfer angewiesen. Und er ist gierig und neigt zur Bequemlichkeit, weshalb er seine Arbeit gerne auslagert: an Sklaven und Leibeigene, an ökonomisch Abhängige, die er ausbeutet, und zunehmend auch an stumme Maschinen. Die Fähigkeiten der künstlichen Geschöpfe sind weit grösser als die der Wesen, die der Mensch auf natürliche Weise zeugt. Durch sein Schöpfertum kann er sich nun als über seine eigene Begrenztheit erhoben verstehen, als Gott ähnlich. Doch das Ansinnen, sein zu wollen wie Gott, bezeichnet schon die biblische Paradieserzählung als vermessen, als Hybris. Bereits der Teufel wurde deswegen aus Gottes Kreis verbannt. Und genau so erging es dem Menschen: Er wurde aus dem Paradies gewiesen und weiss um die Gefährlichkeit anmassender Vorhaben. Diese Gefahren werden in zahlreichen Texten ins Zentrum der Debatte gestellt: Was geschieht, wenn der menschliche Schöpfer scheitert und sein Werk von unfassbarer Hässlichkeit ist? Was passiert, wenn die künstlich erzeugten Geschöpfe sich nicht mehr als willfährig erweisen? Wenn sie einen eigenen Willen entwickeln, Vernunft und Denkfähigkeit erkennen lassen – und rebellisch werden? Im Roman "Frankenstein; or The Modern Prometheus", den die damals 19jährige Mary Shelley 1816 verfasste, liest die menschengeschaffene Kreatur nicht zufällig Constantin Volneys Werk "Les Ruines, ou Méditations sur les révolutions des empires", das 1791 in Genf erschienen war. Parallelen zwischen der Revolte des menschgeschaffenen Wesens gegen seinen Erzeuger, der die Verantwortung für sein Geschöpf von sich weist und ihm jedes Glück versagt, und der revolutionären Erhebung der wenig Privilegierten gegen ihre Unterdrücker werden hier deutlich erkennbar gezogen. Wie häufig in diesen Erzählungen, erhält hier also auch das Geschöpf eine Stimme, womit eine Darstellung der Sachlage aus verschiedenen Perspektiven möglich wird. |